Die Welt
21.01.2015

Große Klassik in kleinem Rahmen

Die Berliner Musiker Dylan Blackmore und Wilfried Strehle präsentierten Top-Solisten, junge Virtuosen und erstklassige Kammerensembles in ihrer Schmargendorfer Musikfabrik

Einst Bankfiliale mit Schleckermarktcharme und heute ein Konzertsaal – es ist, als wandele sich eine hässliche Raupe zum Schmetterling. Dann wäre Blackmore’s Musikfabrik auf jeden Fall eine dieser typischen und nur in Berlin ansässigen Arten, denn wo sonst in der Republik treten bekannte Top-Solisten klassischer Musik und erstklassige Kammerensembles in Betonwürfeln neben der Stadtautobahn auf? Und das auch noch zu erschwinglichen Preisen? Genau das ist es, was seit einigen Monaten in Blackmore’s Musikfabrik passiert. Federführend dabei sind Namensgeber und Violinist Dylan Blackmore und der Musiker und ehemalige Solobratschist der Berliner Philharmoniker, Professor Wilfried Strehle. Kennengelernt haben sie sich beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, wo Strehle nach seiner Pensionierung bei den Philharmonikern weitermusizierte.

Seit der Eröffnung der Musikfabrik im August letzten Jahres fungiert Wilfried Strehle als künstlerischer Leiter und wichtigster Programmdirektor. Als sich die Chance ergab, wieder eine wenig Kultur in seinen Kiez zu holen, war er sofort dabei. „Seit 1971 wohne ich in Schmargendorf“, sagt Strehle, „genau wie der Großteil unseres Publikums bin ich der Gegend eng verbunden.“ Damit deutet Strehle eine wichtige Stoßrichtung an: Die Musikfabrik will zuerst einmal Menschen in der direkten Umgebung ansprechen. „Hier im Südwesten gibt es eine echte Lücke, und wir wollen da wieder ein Gegengewicht schaffen.“

Im Hinblick auf das Revival von Kudamm und altem Westen liegt man da durchaus im Trend, auch wenn es noch allerhand zu tun gibt. Grundlegendes Konzept ist es, hauptsächlich klassische Musik im kleinen Rahmen zu veranstalten und dabei Intimität und direkten Kontakt zu den Künstlern zu bieten. „Die Leute sollen sich mit uns und den Musikern unterhalten“, sagt Strehle, „sollen sich im besten Sinne mit der Musik beschäftigen.“ Dafür wird die Musikfabrik über Konzerte hinaus zu einem echten Kommunikationszentrum ausgebaut, einem Ort, an dem auch Musiker untereinander sich zuhören und austauschen können.

Auch ein Café ist in Planung

Als nächster Schritt ist der Einbau eines Cafés geplant. Alles ist noch im Entstehen, „aber in der Woche öffnen wir schon regelmäßig, von 10 bis 17 Uhr“, sagt Geschäftsführer Dylan Blackmore. Auf seinem Smartphone zeigt er Bilder vom Umbau der ehemaligen Bankfiliale. Im Keller gibt es eine sehenswerte tonnenschwere Tresortür, aus den Decken hingen vor nicht allzu langer Zeit noch Dutzende Kabelstränge, es gab keine Schallschutzwand zum angrenzenden Mietshaus, und es hingen noch keine Bilder an den Wänden. Das Gesamtkonzept bezieht nämlich auch die Bildende Kunst mit ein, nebenbei ist die Musikfabrik mit ihren frisch geweißten Wänden Galerie und Ausstellungsraum.

Ursprünglich war Blackmore ja nur auf der Suche nach Büroräumen, als er auf die verwaiste Immobilie zwei Minuten vom S-Bahnhof Hohenzollerndamm entfernt aufmerksam wurde. „Als ich dann aber zum ersten Mal hier drinnen stand, kam mir sofort ein Gedanke: Hier muss man doch Musik machen!“ Ein Flügel, Bühnenelemente und bequeme Stühle ließen sich vergleichsweise leicht besorgen, „das Programm hätte ich ohne Wilfried aber nie so auf die Beine stellen können“. Sein Kollege kann nach einer Jahrzehnte währenden Musikerkarriere auf ein breites Netzwerk von Kollegen und Freunden zurückgreifen und verantwortete von Anfang an das hohe Niveau der Konzerte. „Noch können wir die Leute ja nicht voll bezahlen“, erklärt Ex-Philharmoniker Strehle, „es sind oft Freundschaftsdienste, dass hier so bekannte Künstler auftreten.“

Meisterkonzerte mit Klassikstars

Erstklassige Solisten wie der Violinist Guy Braunstein, der Cellist Johannes Moser oder die Geigerin Viviane Hagner sind gekommen. Meisterkonzerte oder Kammermusikabende mit Klassikstars wie Martin Helmchen und Marie-Elisabeth Hecker zählen ebenso zu den Höhepunkten wie Konzertreihen mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker oder Konzertmeistern deutscher Spitzenorchester. Darüber hinaus gibt es Lesungen, Auftritte von vielleicht weniger bekannten, aber immer auf höchstem Niveau musizierenden „Young Stars“, wie auch Jazzevents oder Crossover-Veranstaltungen, und demnächst werden bekannte Solisten hier auch Meisterklassen geben.

An sich ist Blackmore’s Musikfabrik ein Kammermusiksaal. „Was wir aber nicht wollen, ist, den Kammermusiksaal der Philharmonie duplizieren“, sagt Wilhelm Wiegreffe, der das Programm ebenfalls mitgestaltet und dabei für den Faktor „Wundertüte“ zuständig ist. Was in dieser drin sein kann, illustriert ein höchst aktueller Plan: Mit mehreren Bezirken laufen derzeit Gespräche, weil man in der Musikfabrik ‚Flüchtlingskonzerte‘ für in Berlin einquartierte Flüchtlinge organisieren will. Auf Eintritt wird dann verzichtet. „Flüchtlinge brauchen natürlich Kleidung, etwas zu Essen und ein Dach über dem Kopf“, sagt Blackmore, „aber sie brauchen auch auch ein kulturelles Angebot.“

Rund 200 Besuchern bietet der Saal Platz. Finanzielle Förderung gibt es keine, trotzdem kosten die Karten nie mehr als 24 Euro. Hochbegabte junge Künstler bekommt man für wesentlich weniger geboten, die Entdeckerlust soll dem Publikum nicht durch hohe Preisbarrieren verdorben werden. „Wir wollen ja explizit auch ein Podium für junge Künstler sein“, sagt Strehle, „und schon jetzt bieten sich viele an, die hier auftreten wollen.“ Unverhandelbares Auswahlkriterium für die erfahrenen Programmleiter ist die Virtuosität der auftretenden Musiker und Ensembles. Da werden keine Abstriche gemacht. „Außergewöhnliche Begabung ist Pflicht“, sagt Strehle, „was gespielt wird, muss da gar nicht immer Klassik sein.“

Sebastian Blottner